Station 8: Jahnstadion

Staatsdoping in der DDR

Gesine Tettenborn (geb.1962 in Weißenfels) war eine erfolgreiche Sprinterin in der ehemaligen DDR, der bereits im Alter von 17 Jahren in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1980 ohne ihr Wissen Dopingsubstanzen verabreicht worden.

Die infolge des Staatsdopings entstandenen körperlichen und psychischen Einschränkungen verarbeitet Gesine Tettenborn seit einigen Jahren mit der Arbeit an einem Buch, in dem sie ihre Erlebnisse niederschreibt.

Im folgenden Ausschnitt spricht sie mit einem Schweizer Athleten über Doping im Ostblock.

Für Sportler, die es gewohnt sind auf irgendwelchen Matten rumzulungern, egal ob sie darauf nun Gymnastik machen, sich nach einem harten Training ausruhen oder ein Gespräch mit dem Trainer führen, ist dies eine vertraute Umgebung. Wir setzten uns so, dass ich zu ihm hochschauen musste. Auch das registrierte ich genau. Aber es störte mich nicht.

„Was machst du für eine Disziplin?“, fragte ich. „Ich bin Ersatzmann für die Schweizer Rudermannschaft“ antwortete Eric, „und du?“ „Ich bin auch Ersatzmann oder besser gesagt Ersatzfrau für die 4×100 Meter Staffel der Damen. Aber vielleicht werde ich noch nachnominiert, über 200 Meter.“ „Dann gehe ich ins Stadion, ich will dich zu gern laufen sehen,“ erwiderte Eric und sah mich direkt an, so dass ich rot wurde. Ich schaute lächelnd zur Seite: „Ich hoffe das es funktioniert,“ antwortete ich. Dabei musste ich ständig über seinen Sprachrhythmus lächeln, der einerseits abgehackt und stark akzentuiert war, andererseits aber auch sympathisch, wie ein ehrlicher Pulsschlag.

Es entstand eine Pause. Wir schwiegen eine Weile. Ich fühlte einen Augenblick Bewunderung für Eric, für sein Einfühlungsvermögen. Ich stellte mir vor, wie er synchron mit seinen Kameraden die Ruderblätter ins Wasser taucht. Sicher lernt man das als Ruderer. Ich war früher auch sehr einfühlsam gewesen, aber dies hatte in letzter Zeit nachgelassen. Beim Sprint muss man sich durchsetzen, darf nicht auf andere achten. Noch immer wunderte ich mich darüber, dass er mit mir tanzte. – Hatte er es gespürt, als ich ihn angeschaut hatte? Hatte sein Unbewusstes auf meine enorme Bewunderung reagiert? Wie war das möglich? Analysieren war mir inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen, denn jeder Sieg, jede Niederlage war von meinen Trainern und mir analysiert worden.

„Wir wissen, dass ihr Ostblocksportler alle gedopt seid“, sagte Eric plötzlich. Er schaute mich dabei direkt an. Es entstand eine kleine Pause. Offensichtlich war er auf meine Reaktion gespannt. Mir fiel das Gespräch ein, welches ich im Frühjahr mit meinem Trainer hatte: „Gesine, was ich jetzt mit dir besprechen werde, ist streng vertraulich, und du unterschreibst mir dafür, dass du mit niemandem darüber reden wirst.“, hatte mein Trainer vor einigen Monaten zu mir gesagt. Und dann hatte er davon gesprochen, dass die gigantischen Erfolge der US-Athleten auf den Einsatz von Dopingmitteln im Training zurückzuführen waren. Die führenden Sportfunktionäre und Sportwissenschaftler der DDR hätten in Zusammenarbeit mit Jenapharm daraufhin ein Mittel entwickelt, um unseren Athleten zu helfen, die gestiegenen Trainingsanforderungen besser zu verkraften. Und dann hatte er mir die blauen Tabletten gegeben. “ Ich habe alles so gemacht, wie mein Trainer es geplant hat, ohne etwas zu hinterfragen.

„Wir nehmen nur einige unterstützende Mittel, außerdem Mineralien und Vitamine, sagte ich. „Und wie ist das bei euch?“ „Auch bei uns wird gedopt.“, antwortete Eric. „Mich haben sie in den Medien als Nestbeschmutzer bezeichnet, weil ich selbst keins nehmen wollte und mich dazu geäußert habe, dass ich es nicht richtig finde, dass andere dopen.“

Überrascht blickte ich Eric an. Sprach er die Wahrheit oder war es genau die feindliche Propaganda, des Klassenfeindes, vor der sie uns immer in den Schulungen gewarnt haben? Ich schaute auf die Uhr. „Oh ich muss los“, sagte ich und sprang auf. Befriedigt registrierte ich, wie Eric bewundernd auf meine Bewegungen schaute. Lächelnd drehte ich mich noch einmal um, nickte ihm zu, und verschwand. Fast hätte ich die Zeit vergessen. Hurtig rannte ich die Treppe hinunter und lief zu meinem Block. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. War es Zufall, dass ich Eric begegnet bin? fragte ich mich, während ich zum Sternenhimmel aufsah.

Diese Übersicht wurde von den THG Schülerinnen Marie Schünemann, Nele Anschütz und Zofia Király erstellt.

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