Station 7: Neues Rathaus

Begrüßung der DDR-Bürger im November 1989 in Göttingen

Interview mit dem ehemaligen Mitglied des Göttinger Stadtrates Herbert Schmidt

Guten Morgen Herr Schmidt. Vielen Dank für Ihre Bereitschaft, Ihre Erinnerung an die Zeit im Herbst 1989 mit uns zu teilen.

Erzählen Sie uns doch bitte zunächst, wann und wo die DDR-Bürger im November 1989 in Göttingen in Empfang genommen wurden?

Die Begrüßung der anreisenden Bewohner aus der DDR begann wenige Tage nach dem Mauerfall in Berlin.Sie steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Öffnung der Grenzübergänge in der Umgebung. Zunächst waren Städte wie Duderstadt und andere grenznahe Gemeinden stärker vom Besucherverkehr betroffen.
Aber für viele Besucher war auch Göttingen ein attraktives Nahziel. Lange Fahrzeugschlangen von Trabbis und Wartburgs fuhren nach Göttingen. Die Straßen waren
schnell verstopft und es wurden Extra-Parkplätze beispielsweise bei der „Eiswiese“ eingerichtet.

Wie lief die Begrüßung der DDR-Bürger in Göttingen genau ab?

Offiziell wurden die DDR-Bürger von Seiten der Bundesrepublik mit dem Begrüßungsgeld von 100 DM pro Person begrüßt.
Die Auszahlung des Begrüßungsgeldes in Göttingen selbst fand vor allem im Neuen Rathaus statt, aber auch in der Stadthalle, in verschiedenen Verwaltungsstellen der einzelnen Ortsteile sowie in der Sparkasse. Teilweise gab es dabei Engpässe in der Bargeldversorgung der Kommunen.
Doch darüberhinaus kam es häufig auch zu spontanen Begrüßungen und Umarmungen zwischen Bundes- und DDR-Bürgern. Nicht selten entstanden freundschaftliche Kontakte, die teilweise über eine lange Zeit Bestand hatten.

Beschreiben Sie doch bitten Ihren ersten Eindruck im November?

Ich war sehr aufgeregt und emotional überwältigt! Ich versuchte viel mit Informationen und
anderem zu helfen.
Viele Leute kamen auf mich zu. Es war schwierig, für alle genug Zeit zu finden. Rückblickend war
ich selten oder nie zuvor so emotional aufgewühlt wie damals in diesen Wochen bis ca. Mitte
Dezember.

Auch bei den Besuchern war die Freude, aber auch die innere Anspannung deutlich spürbar. Mein Eindruck war, dass sie mit Neugierde und Informationsbedürfnis, einfach alles Neue mit allen Sinnen aufsaugen wollten.

Traf die Begrüßung der DDR-Bürger auch auf Ablehnung bzw. Widerstände?

Ich habe keine Widerstände oder Ablehnung registriert.

Welche Rolle spielte die Städtepartnerschaft zu Wittenberg, die Sie als damaliges Mitglied des Göttinger Stadtrates Ende der 80er Jahre mit aufgebaut haben?

Gleich nach Öffnung der ersten Grenzübergänge reisten Stadtvertreter aus Wittenberg an. Es wurde sogleich eine vertiefte und erweiterte Städtepartnerschaft vereinbart. Viele zusätzliche Kontakte z.B. von Wohnungsbauunternehmen, Sparkassen, Betrieben, und Innungen wurden geknüpft und konnten so vielseitige Hilfestellungen für Wittenberg schaffen. Die Stadt Göttingen unterstützte Wittenberg vielseitig, in dem zahlreiche Verwaltungsmitarbeiter aus Göttingen den Mitarbeitern der Wittenberger Verwaltung über eine längere Zeit hilfreich zur Seite standen.

Wie schauen Sie aus heutiger Sicht auf die Ereignisse 1989 zurück?

Auch gegenwärtig gibt es noch vielfältige Kontakte und Freundschaften nach Wittenberg, auch
wenn inzwischen alles irgendwie „normal“ geworden ist. Auch in Wittenberg wird diese Zeit im
Rückblick sehr positiv gesehen.
Ich persönlich freue mich immer noch, dass die Geschichte diesen Verlauf genommen hat. Im
Detail hätte ich mir manche gesellschaftliche Entwicklung anders gewünscht, z.B. Erhaltung der
DDR-Betriebe, mehr Zeit für die Menschen in der DDR, sich auf die Veränderungen einstellen zu
können, auch weniger Arroganz in Westdeutschland in der Anfangszeit (aber das wäre ein
weiteres eigenständiges Thema.)

Das Interview führten Tjark Erdmann, Inga Jünemann und Arthur Liebetanz vom THG

Die ersten Tage nach der Öffnung der Grenzen im November 1989

Quelle: Grenzlandmuseum Eichsfeld

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